Zur Ausstellung allesWichtigeInKürze


Farbpräsenzen

Arbeiten von Stefan Steiner im Kunsthistorischen Institut


Ein-Stimmung

Mit seinen Arbeiten hat Stefan Steiner das Institut vielfach besetzt, die Räume und Räumlichkeiten neu temperiert, das Raumempfinden neu bestimmt, die Stimmung unseres Haus verändert. In unterschiedlichen Erscheinungsformen: als große aquarellierte Blätter gleichsam vor der Wand schwebend, oder als bemalte Würfel, sowie als große objekthafte Bildflächen und nicht zuletzt in einer Vielzahl kleiner notizhafter collageartiger Zettelchen in den Vitrinen treten uns seine Bildwerke entgegen. Sounterschiedlich ihre Gestalt auch ist, stets bieten sich die Bilder uns ungeschützt an, ungerahmt und unverglast ziehen sie die Blicke in ihren Bann.

Labilität und Gewissheit

Die aquarellierten Blätter mit zarter lasierender Farbigkeit muten beiläufig und komponiert zugleich an, als habe sich in die lockeren Farbsetzungen gleichsam heimlich ein Kompositionsraster eingeschlichen … oder war es umgekehrt so, dass die strenge Komposition sich malend auflöste? Als hätten Berechnung und Willkür in einer spielerisch Dialektik mit- und gegeneinander angekämpft … Diese Spannung wird zugleich in Balance und Offen gehalten, ihr Labile Gewissheit ist voller ‚Charme' im Sinne des Philosophen Vladimir Jankelevitchs 1: „Charme ist eine dieser labilen Eigenschaften, wie Humor oder Intelligenz und es gibt ihn nur in der perfekten Unschuld oder Selbstverleugnung … Charme kann nicht erklärt werden, Charme als einfache Eigenschaft ist irreduzibel. ” Jankelevich entwickelt diese ästhetische Kategorie in einem Essay in dem er die spezifische Ästhetik der Musik Faurés zu bestimmen versucht, unter dem Motto ‚Fauré und das Unausdrückbare' (F et l'inexprimable). Die Kategorie des ‚Charme' entstammt der Ästhetik des 18. Jhdts. Und findet sich noch in den Tagebüchern Delacroix'. Jankelevitch, der auch über John Cage geschrieben hat und gleichsam eine sinnliche Philosophie des Nicht-Fassbaren zu entwickeln trachtete, umschreibt Charme des Weiteren als: „Er ist immer etwas Anderes weil er nicht Sache ist ” ( „il est toujours autre chose, pour la bonne raison qu'il n'est pas ‚chose' ”) … in vielfachen Wendungen umschreibt Jankélévich das Dilemma des Sagen des Unsagbaren, das sich jeweils im Moment des Erfasstwerdens wieder entzieht und verflüchtigt. Diese Jagd nach der Unfassbarkeit, der Vergegenwärtigung des nicht Fassbaren, des ‚Je-ne- sais-quoi', erscheint mir ein adäquate Umschreibung der großen Aquarelle, die ich als Partituren des Nichtfassbaren verstehe. Ihre Faktur und ihre flüchtig genaue Farbigkeit verhalten sich zu den Prinzipien Ordnung und Freiheit, Zufall und Fügung wie Partituren zur Musik die sie evozieren.

Struktur und Zufall

Die spielerische Dialektik zwischen Zwanglosigkeit und Konzeptualität bestimmt auch die Genese der weiteren Werke, sowohl in den Farbboxen wie in den objekthaften Gemälden. Bei den Boxen stehen das Format des Papierbogens und der späteren Faltung eingangs fest, die Farbigen Setzungen jedoch, von zunächst gesetzten Markierungen entwickeln gleichsam eine Eigendynamik des Farbverlaufens oder Wegstreichens. Die Farbbahnen können über die Ränder hinweg verfolgt werden. Der zeitliche Prozess der Bildentstehung kann nicht nur als Bewegung verfolgt werden, sondern geradezu physisch und haptisch, denn er entwickelt sich im Raum in eine doppelten räumlichen Entfaltung. Diese spezifische Qualität der malerischen Praxis Steiners charakterisiert auch die Bildobjekte.

Farbereignisse und Farbgebilde
Werden vs Machen

In und auf den gemalten Bildobjekten entfacht Steiner ganz andere Farbereignisse. Während in den bisher betrachteten Bildwerken die farbigen Erscheinungen, Stufen der Ambivalenz zwischen dem Gemachten und dem Entstehenden, zwischen malerischer Selbstvorführung, sowie Farbeereignung und Steuerung variierten, konfrontieren uns die ‚Bildkästen' mit einer ganz anderen ‚Gemachtheit'. Offensichtlich wurden hier mit Verve Farben aufgetragen, in immer wieder kreisenden Bewegungen, immer wieder neue Farbspuren gelegt. Obwohl die führende Hand ihre Dynamik ins Bildgewebe einschrieb, wird hier mitnichten expressiv etwas Subjektives zum Ausdruck gebracht. Hier werden nur mehr ein andere Struktur, verschiedene Sichtbarkeitsanordnungsmöglichkeiten verhandelt. Hellere Farben treten vor dunklere und vor und auf den Grund, dennoch entsteht kein anderer Illusionismus als eine Aktivierung der Fläche. Der Träger ist eine Holzplatte, deren Flächigkeit unterschiedlich materiell zum Vorschein gebracht wird entweder mit oder ohne seitlicher Abgrenzung, aber stets als vorderste Front eines Trägerkastens. Die Bilder wirken wir gemalte Objekte, als dreidimensionale Farbangebote, die jedoch stets die Kern Elemente bzw. elementare Substanz der Malerei verhandeln: Farbe/Form/Fläche deklinieren.

Steiners eigenwillige Aesthetik

Aus der soeben beschriebenen eigenwillig gezügelten Vehemenz der Farbgeste, die nicht Ausdruck ist und sein will, sondern beharrliche FarbBeherrschung und rythmisierte SchwungTextur entsteht ein ornamentales Gewebe.

Ordnung und/oder Ornament

Das Ornament ist eine, wenn nicht die Urform menschlicher kreativer Äußerung und gilt als eine Strategie zur Weltaneignung bzw. -beherrschung. Als der Mensch die kosmische Ordnung nicht verstand, wurde eine Ordnung bzw. Kontrolle der vegetabilen oder animalen Welt zumindest in virtuosen ornamentalen Verschlingungen suggeriert (z. B. bei den Kelten) oder man markierte sein Territorium mit rein geometrischen Zeichen, hinterließ seine Spur. Diese essentiell anthropologische Dimension 2 einer urtümlichen Kreativität ist m. E. in Steiners Arbeiten noch immer spürbar und unterscheidet sie von anderen auf einen ersten Blick vergleichbaren. Hierin wurzelt meines Erachtens bei aller poetischen Leichtigkeit und scheinbaren Verspieltheit, die zuvor erwähnte existentielle Dimension dieser malerischen Praxis.

Geworden vs. Gemacht die 2.

Die Konsequenz und Beharrlichkeit in der Steiner sein Projekt verfolgt wird auch an den ‚Zufallsprodukten' erkenntlich, die er uns in den beiden Vitrinen anvertraut. Hier können wir einen Blick hinter die Kulissen werfen, denn die hier akribisch gesammelten Malspuren, sind pure Zufallsergebnisse, wahrlich Abfallprodukte der malerischen Produktion, der ausführende Malakte, die Steiner aufbewahrt: Fragmentarische Zeugen gewesener Entstehungsprozesse. Erneut offenbart sich eine idiosynkratische Dialektik zwischen Zufall und System, innerer Notwendigkeit und willkürlicher Fügung. Übrig gebliebene Spuren deren unbeabsichtigte Poesie und geschenkte Schönheit Steiner erkennt und konservierend hervorhebt. Die kleinen Formate dieser gesammelten Spuren wirken intimistisch und entsprechen einer privaten, persönlichenentdeckcnden Begegnung, an der Steiner uns teilhaben lässt … Schneller visueller Konsum, Effekt haschendes Spektakuläres sind Steiners Sache nicht.

Stefan Steiner

Nun ist es vielleicht auch an der Zeit Stefan Steiner ebenfalls kurz vorzustellen: Er ist Schweizer und hat zunächst Architektur an der ETH Zürich Studiert und dann an der HfG in Luzern bevor er dann 1988 an die Kunstakademie Düsseldorf kam und Meisterschüler bei Günther Uecker wurde. Stefan Steiner ist nicht nur Maler, sondern auch Buchkünstler, gestaltet inhaltlich und formal Künstlerbücher, greift also auf verschiedene Weisen poetisch gestaltend in den Alltag ein. Er lebt in Köln und ich Danke ihm im Namen des ganzen Hauses da-für, das er uns jetzt für einige Wochen sein Werk anvertraut und mit seinen Bildern, die Möglichkeit gibt das Haus und uns selbst neu zu erfahren.

Stimmungen als Erfahrungsformen

Abschließend möchte ich auf die Eingans erwähnte ‚Stimmung' zurückkommen … seit letzten Donnerstag als Stefan Steiner mit dem Aufbau seiner Ausstellung begonnen hat … hat sich die Stimmung des Hauses verändert … belebt ist unser Haus immer, jetzt ist es wieder beseelt. Eben hat der Philosoph Hans Ulrich Gumbrecht ein Buch herausgebracht, in dem er etwas scheinbar Unphilosophisches zu fassen sucht, das Hegel als ‚Brei des Herzens' abtat, nämlich ‚Stimmungen'. Er zeigt, dass man über etwas so flüchtiges wie Stimmungen begrifflich präzise sprechen kann, und dass Literatur und Philosophie anstatt außer sprachliche Wirklichkeiten auszugrenzen sie mitdenken sollten. Es gilt mit Hilfe phänomenologischer, psychologischer oder existenzphilosophischer Begriffe im Medium der Literatur die Stimmung einer Zeit festzuhalten. Gumbrecht plädiert dafür, die Kategorie der ‚Stimmung' nicht aus dem Gefühlshaushalt des Denkens zu verbannen … in diesem Sinne vermitteln uns Stefan Steiner malerische Gebilde ‚Stimmungen als Erfahrungsformen', die uns an der so fragil wie zugleich unwiderstehlichen Steinersche Philosophie des malerischen ‚Charmes' teilhaben lassen. Dieser ‚Charme', dieses ‚Je-ne-sais-quoi' in seiner inhärenten Ambivalenz, des zugleich präzise Bestimmten und Zufallbelassenen lässt sich auf den Punkt bringen in der Formulierung des Künstlers selbst:

"allesWichtigeInKürze"

… dem Titel der Ausstellung.
Bei aller Knappheit und Kürze, intensiver Verdichtung entfachen die Bildwerke Steiners dennoch ihr anthropologisches Anliegen mit subtiler Sinnlichkeit und großer poetischer Leichtigkeit, die hoffentlich ansteckend wirken werden …

~ * ~ * ~ * ~

Last but not least sei unserer freiwilligen und unermüdlichen HelferInnenEquipe gedankt: Anna, Antje, Anna Liliana, Clemens, Ewa, Pattmini, Roland und Thore.

Am Mittwoch 11.05.2011 um 18 Uhr: Künstlergespräch ~ Künstlerbücher ~ performance: Lesung

Anne-Marie Bonnet, Köln, April 2011

1 „Le charme est une de ces qualités labiles qui, comme lʼhumour, lʼ intelligence ou la modestie, nʼexuste que dans la parfaire innocence et dans la nescience-de-soi … le charme est inexplicable: le charme en tant que qualité simple, est irréductible.”, Vladimir Jankélévich, Fauré et lʼinexprimable (Chap. III, Du Charme), Paris, Plon, 1974, S, 344 ff. 2 Loos lehnte das Ornament in der Moderne u. a. deshalb ab, weil es „keinen Zusammenhang mit der Weltordnung” mehr habe, er also gerade dessen anthropologische Dimension vermisste!


Text Version 1 als pdf (siehe oben)
Text Version 2 als pdf

zurück zur Bibliografie